Künstliche Intelligenz

Ein Beitrag im sozialen Netzwerk vom 18.01.2016

Wie Künstliche Intelligenz (KI) unsere Welt verändern wird

Professor Dr. Jürgen Schmidhuber
Wiss. Direktor, KI-Labor IDSIA (USI & SUPSI) und Präsident, NNAISENSE

  • Computer sind heute eine Million Mal schneller als in den 1980er-Jahren
  • Unsere Forschung wird auch in der Spracherkennung und Medizin eingesetzt
  • In nicht zu ferner Zukunft werden erste KIs so schlau sein wie kleine Tiere

Künstliche Intelligenzen (KIs) werden künftig fast alles erlernen, was Menschen können – und noch viel mehr. Bisher wurden Computer alle zehn Jahre 100 Mal schneller, pro Euro Herstellungskosten. Hält der Trend an, wird es bald preiswerte Geräte mit der rohen Rechenleistung eines menschlichen Gehirns geben – und ein paar Jahrzehnte später welche mit der Rechenleistung der gesamten Menschheit. Die dazugehörige, selbstlernende Software wird kaum hinterherhinken: Es sind künstliche, neurale Netzwerke, die durch Erfahrung lernen, durch Ausprobieren und Scheitern.

Unsere Hartnäckigkeit zahlte sich aus

Als ich in den 1980er-Jahren begann, an neuralen Netzwerken zu arbeiten, waren Computer eine Million Mal langsamer als heute, und wir konnten damals mit unseren ersten funktionstüchtigen, neuronalen „Deep Learning“-Maschinen nur kleine Spielzeugexperimente durchführen. Aber unsere Hartnäckigkeit zahlte sich aus: Seit 2009 gewann mein Team weit mehr Wettbewerbe zum maschinellen Lernen als jedes andere Team. Zudem erzielten wir die ersten übermenschlichen Ergebnisse bei visueller Mustererkennung. Google, Microsoft, IBM, Baidu und viele andere Firmen nutzen heute unsere neuralen Netze, die unter anderem die beste Handschrifterkennung, Spracherkennung, maschinelle Übersetzung oder Bilderkennung ermöglichten. Letztere kommt zum Beispiel bei selbstfahrenden Autos oder bei der Krebsfrüherkennung zum Einsatz. Oft werde ich gefragt: Kannst Du mir mal was vorführen? Dann antworte ich: Hast Du ein Smartphone? Seit 2015 basiert Googles Spracherkennung nämlich auf unseren Methoden, die Google Voice dramatisch verbesserten und nun für über eine Milliarde Nutzer verfügbar sind. Grundlage sind zwei Methoden aus meinem Labor: das sogenannte „Lange Kurzzeitgedächtnis“ (Long Short-Term Memory, LSTM), ein rückgekoppeltes neuronales Netzwerk, das viel besser funktioniert als frühere Netzwerke dieser Art, sowie ein dazugehöriges Lernverfahren namens „Connectionist Temporal Classification“ (CTC). Google nutzt unser LSTM zudem für viele andere Dinge, wie das Erstellen von Bildunterschriften und das automatische Beantworten von e-Mails. Irgendwann wird Google wohl zu einem riesigen LSTM werden. :-)

Noch Anfang der 2000-er Jahre interessierte sich kaum jemand

Wir haben „Deep Learning“-Methoden wie LSTM mit der Hilfe von öffentlichen Geldern entwickelt, die wir aus Deutschland, der Schweiz und der EU erhielten, und zwar in einem Zeitraum, der als „Winter der Neuronalen Netzwerke“ bekannt ist: Damals, in den 1990-er Jahren und Anfang der 2000er-Jahre, interessierte sich kaum jemand für neurale Netzwerke. Ja, seit den 1990-er Jahren haben europäische Steuerzahler die Forschung finanziert, die jetzt bedeutenden Anwendungen einiger der wertvollsten amerikanischen und asiatischen Firmen zugrunde liegen. Auch DeepMind (für 600 Millionen Dollar an Google verkauft) wurde stark von unseren ehemaligen Studenten beeinflusst: Zwei ihrer ersten vier Mitarbeiter und ihre ersten Doktoranden in Künstlicher Intelligenz und dem Maschinellen Lernen stammen von uns. Aber die Senioren und Pioniere der grundlegenden Lernalgorithmen und Methoden für Allgemeine Künstliche Intelligenz (Artificial General Intelligence, AGI) haben ihren Sitz immer noch in der Schweiz oder sind mit unserer Firma NNAISENSE verbandelt.

Kinder und selbst kleine Tiere sind immer noch schlauer als unsere besten selbstlernenden Roboter. Aber ich denke, dass wir es in der nicht allzu fernen Zukunft schaffen werden, eine KI zu bauen, die durch neuronale Netzwerke schrittweise lernen wird, so klug zu werden wie ein kleines Tier, dabei zu planen und zu schlussfolgern und stets neue Probleme in leichter zu lösende (oder schon gelöste) Unterprobleme herunterzubrechen. Unsere formelle Theorie des Spaßes erlaubt uns sogar, Neugierde und Kreativität zu implementieren, um künstliche Wissenschaftler und Künstler zu bauen.

Vielleicht werden superkluge KIs eines Tages das Sonnensystem besiedeln

Ist tierähnliche KI erst einmal erreicht, wird der Schritt zu menschenähnlicher KI vielleicht nicht mehr groß sein. Die Evolution brauchte Milliarden von Jahren, um schlaue Tiere hervorzubringen, aber dann nur noch ein paar zig Millionen Jahre bis hin zum Menschen. Das ging also plötzlich hundert Mal schneller. Das heißt: Haben wir erst mal tierähnliche KI, wird menschenähnliche KI wohl bald nachfolgen, mit wahrhaft grenzenlosen Auswirkungen. Jedes Geschäftsfeld wird sich ändern, die gesamte Zivilisation wird sich ändern, ALLES wird sich ändern. Und vielleicht werden superkluge KIs rasch das Sonnensystem besiedeln, und dann innerhalb von ein paar Millionen Jahren die gesamte Galaxie.

Hinweis: NNAISENSE arbeitet an solchen Zielen (und spricht mit Investoren).

Digital Life Design (DLD) ist ein internationales Netzwerk aus Vordenkern in den Bereichen Digitalisierung, Wissenschaft und Kultur. Bis Dienstag diskutieren Experten wie Professor Dr. Jürgen Schmidhuber in München über Innovationen und Trends. DLD ist Teil von Hubert Burda Media, dem Mehrheitsgesellschafter der XING AG.

Auswahl an Leserbriefen

Dr. Peter Busch 18.01.2016, 01:18

Wenn KI in naher Zukunft so schlau ist wie kleine Tiere finde ich das in Ordnung. Wesentlicher für mich ist, dass das Bewusstsein des Menschen sich in Richtung auf eine humanitäre Gesellschaft entsprechend weiter entwickelt.
Beste Grüße
Peter Busch

Mag. Christopher Temt 18.01.2016, 11:47

Dazu fällt mir nur ein: "Also sprach Golem" von Stanisław Lem aus dem Jahre 1981.
Absolut lesenswert für alle, die mit künstlicher Intelligenz zu tun haben.
Hier eine kurze Einführung: https://de.wikipedia.org/wiki/Golem_XIV und für die, die keine Zeit haben als Kurzvideo: https://vimeo.com/50984940 „Golem XIV“ ist in der Geschichte Lems ein von Menschen erbauter Super-Computer, der die Intelligenzbarriere durchbrochen hat und somit über eine eigenständige Vernunft verfügt. Er besitzt weder Eigenschaften der Persönlichkeit noch solche des Charakters. Er kann sich jedoch den Menschen, zu denen er spricht, in der Maske jeder beliebigen Persönlichkeit zeigen. Golem XIV kennt außerdem kein Gefühlsleben, denn er ist keine Person, sondern ein Kalkül.

Lem konfrontiert den Leser mit der unbequemen Vorstellung, die Menschheit sei ein reines Zufallsprodukt der Natur und keineswegs die Krone der Schöpfung. So hinterfragt Golem XIV die Kriterien, die der Mensch aufstellt, um sich selbst als „Krone“ der Evolution anzusehen, und weist auf die geistige Beschränktheit hin, mit der der Mensch die tieferen Gründe der Natur zu erkennen glaubt. Am Besten das Buch kaufen: Imaginäre Größe. Stanisław Lem, Insel-Verlag, Frankfurt am Main 1976

Carsten Abelbeck 18.01.2016, 13:24

Im weiteren Zusammenhang fällt mir dazu das Buch des Philosophen Thomas Nagel »Geist und Kosmos« (warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist) ein.
http://d-nb.info/1034785664

Dennis Teichmann 18.01.2016, 14:47

Die Grundfrage ist hier nicht erörtert. Niemand zweifelt, dass Computer standardisierte Prozesse und Abläufe besser können, sowie ebenso Muster lernen können.
Das Wesentliche an menschlicher Innovation ist jedoch nicht die reine Produktivität, sondern die Fähigkeit, "NEUES" zu schaffen. Diese Fähigkeit basiert auf Kreativität und Intelligenz in einem engen Zusammenspiel.
Ich sage dies übrigens als Inhaber eines Internet Start-ups, bin also durchaus technisch affin.

Jörg Ribbecke 18.01.2016, 14:59

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Schmidhuber,
drei Anmerkungen:
1 - "...mit wahrhaft grenzenlosen Auswirkungen. ...die gesamte Zivilisation wird sich ändern, ALLES wird sich ändern..." - Als Mensch und Bürger stelle ich mir schon die Frage, wer Ihnen die Legitimation gibt, eine solche Entwicklung anzustreben. Mich hat niemand gefragt, ob ich das möchte und ich denke, daß das auch nicht mehrheitsfähig wäre. Ich weiß natürlich, daß auch niemand bzgl. der atomaren Anwendungen, der Gentechnik oder der Nanotechnologie befragt wurde und auch bzgl. der Entwicklungsrichtungen der KI wird erst diskutiert werden, wenn erste negative Auswirkungen sichtbar werden - oder wollen Sie behaupten, dass die KI die erste Wissenschaft mit ausschließlich fortschrittlichen (was auch immer das ist) Auswirkungen sein wird. Eine Betrachtung unter ethischen Gesichtspunkten ist dringend erforderlich und eine Beeinflussung der Gesellschaft mit Superlativen verbietet sich für einen ernsthaften Wissenschaftler.

2 - ... rasch das Sonnensystem besiedeln, und dann innerhalb von ein paar Millionen Jahren die gesamte Galaxie..." - Als Ingenieur habe ich mich jeden Tag mit technischen und besonders auch wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen und zum Glück sind auch Sie durch physikalische und ökonomische Zwänge in Ihrem Tatendrang eingeschränkt. Der Mensch ist leider ein sehr kurzfristig denkendes Wesen, das haben die vergangenen Jahrzehnte deutlich gezeigt. Ich denke, dass die für Ihre Pläne in den nächsten "paar Millionen Jahren" notwendig werdenden Ressourcen kaum zur Verfügung stehen werden.

3 - Einen Vorschlag zur Güte: Lenken Sie die KI-Forschung in eine für die Menschheit wichtige Richtung, z.B. in dem die KI nach intelligenten Wegen sucht, offensichtlich falsche Entscheidungen der Menschheit zu korrigieren oder zumindest in Ihren unvermeidlichen Auswirkungen zu kompensieren. Suchen Sie z.B. nach intelligenten Wegen bei der Krebsbekämpfung (ich hätte z.B. die Vermutung, dass dabei heraus käme, daß nicht die Medizin der Ausweg sein kann). Das wäre doch mal ein Szenario für die nächsten 50 Jahre, DAS würde der kurzfristig denkende Mensch begreifen und befürworten können.
Wenn die selbstlernenden Systeme in 50 Jahren die Lösungsvorschläge machen, die viele ernstzunehmende Wissenschaftler heute zur Lösung bekannter Probleme vorschlagen, dann sind Sie auf dem richtigen Weg.
mfG
Ihr Jörg Ribbecke

Michael Orth 19.01.2016, 10:12

Die Frage ist auch, ob sich die Technik den Menschen anpassen wird oder die Menschen der Technik. Auf den ersten Blick wird es natürlich so aussehen, als wäre die Technik (KI) dazu geschaffen dem Menschen zu dienen aber auch heute schon fügen sich leider sehr viele Menschen viel zu sehr in ihr technisches Umfeld ein ...
KI wird kommen keine Frage, nur wird sie uns dienen oder uns beherrschen?

Rosemarie Loewe 19.01.2016, 10:19

Wenn die Entwicklung der KI dieselben Phasen durchläuft, wie die Evolution des Menschen, möchte ich nicht wissen, was passiert, wenn sich die KI im Mittelalter befindet. Dagegen wird die Kriminalität im Internet, so wie sie heutzutage ausgeübt wird, ein Pappenstiel sein.
Die Menschen verlassen sich heutzutage immer mehr auf ihre technischen Geräte und hören auf mitzudenken. Sie verlassen sich auf ihr Navi und bleiben dann plötzlich im Wald stecken oder versuchen eine Treppe hinaufzufahren. Bevor die KI soweit entwickelt sein würde, wie der Verfasser dieses Artikels hier prophezeit, versinkt die Welt im Chaos und es fängt wieder alles von vorn an.